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Goldene Türen

© S. Fischer Verlag, Aufführungsrechte S. Fischer Verlag Theater & Medien
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Textausschnitt

Ein Mann in der Fußgängerzone. Er hat ein Schlagzeug aufgebaut. Eine Große Trommel, eine Kleine Trommel, eine Hi-Hat und ein Ständer mit einem Becken. Weiter hat er noch ein Podest aus Holz dabei und einen kleinen schwarzen Kasten.
Der Mann stellt sich vor das Schlagzeug und das Podest.

Es gibt Geschichten von Menschen die
eines Tages in der Früh aufwachen und
plötzlich fließend eine Sprache beherrschen
von der sie davor nicht eine einzige Vokabel gekannt haben
es gibt Geschichten von Menschen die
sich plötzlich wie jemand fühlen der
vor einhundert Jahren in einem weit entfernten Land geboren wurde und
die sich dann so kleiden wollen wie diese Person und
es gibt Geschichten von Menschen die
von einem Tag auf den anderen den unbedingten Wunsch verspüren
sich auf ein Podest zu stellen und
zu reden
einfach zu reden.

Die Touristen fotografieren den Dom
die Oper
die Pestsäule
die Fiaker
die alten Häuserfassaden
das Haus in dem Mozart gewohnt hat
die Perlenketten und Broschen in den Auslagen der Juweliere
die Torten in den Glasvitrinen der Zuckerbäcker und
irgendwann auch mich
wahrscheinlich einfach nur weil
ich da bin weil
ich in der Fußgängerzone stehe
sie denken sich
der gehört zum Straßenbild dazu
sie stellen sich vor mich hin und
fotografieren mich
manchmal stellt sich einer neben mich und
macht ein Selfie von sich und mir
dann lachen sie und
sind zufrieden und
gehen weiter.

Der Mann läutet eine Glocke.

Nicht schlafen und schlafend nach schwachen Märkten suchen
nicht schlafend überlegen wie man in diese schwachen Märkte eindringen kann
nicht schlafend glauben die beste Strategie gefunden zu haben
nicht schlafend über die Mitbewerber triumphieren
nicht schlafend glauben dass alles gut läuft und
immer so weiterlaufen wird.

Türen sind
ein geheimnisloser Gegenstand dazu da
eine Funktion zu erfüllen
was die meisten auch einfach tun und
wenn nicht
braucht man sie bloß zu reparieren oder auszutauschen
Türen sind entweder schön oder weniger schön
es gibt unzählige Arten
je nach ihrem Zweck
viel mehr gibt es über Türen nicht zu sagen.
Ich habe mich nie für Türen interessiert
wer tut das schon?
ich habe Türen geöffnet und geschlossen
ohne weiter darüber nachzudenken
bis ich zusammen mit einem Teilhaber vor sechzehn Jahren eine Firma gekauft habe
eine kleine Tischlerei
in der Türen gefertigt wurden
Türen aller Art
Innentüren
Außentüren
Türen für Einfamilienhäuser
für Bürogebäude
für Schulen
für Kindergärten.
Die Firma steckte zu dem Zeitpunkt als wir sie kauften in Schwierigkeiten
sie war günstig zu haben
das war der Grund warum wir sie kauften
nicht weil sie zufällig Türen herstellte.
Es gelang uns die Firma zu sanieren
den Umsatz wieder zu steigern
uns auf dem Markt zu behaupten aber
das brauchte viel Zeit
es war ein zäher Prozess
wir arbeiteten vierzehn Stunden am Tag
die Firma hätte ebenso gut jederzeit in Konkurs gehen können
wir waren oft verzweifelt und
weit von jeglichem Erfolg entfernt
von großem Gewinn sowieso
wir fluchten und
waren überzeugt dass es ein Irrtum gewesen war die Firma zu kaufen
bis ich den Einfall hatte statt der Türen aus Holz Türen aus Gold zu fertigen
ich hatte die Idee
an einem Mittwochmorgen
beim Frühstück
als ich in der Zeitung den Satz: Eine Feinunze Gold ist das Maß aller Dinge las.
Die Türen aus Gold wurden unser beliebtestes Produkt
der Verkaufsschlager der Firma
plötzlich wollte jeder eine solche Tür
wir exportierten die Türen nach China und Japan
in die USA und nach Brasilien
wir statteten Appartements in Paris und
Villen in Palm Beach und
Skihütten in der Schweiz damit aus.

Gibt es jemanden dem es nicht wichtig ist
erfolgreich zu sein? und
anerkannt zu werden?
egal welchen Beruf er hat?
Gibt es jemanden der nicht davon träumt
einmal reich zu sein? und
ein Haus zu besitzen? und zwei Autos oder mehr?
und einen Garten mit einem Pool?
und Reisen nach Asien und in die Karibik zu machen?
Wer kann von sich behaupten dass ihm das gleichgültig ist?

Der Mann steigt auf das hölzerne Podest.

Ich habe eine teure Uhr getragen
eine Patek Philippe
an einem Tag im September vor drei Jahren
habe ich sie vom Handgelenk genommen
im Garten auf eine Steinplatte gelegt und
mit einem Hammer zertrümmert
am selben Tag habe ich mein Telefon genommen
ein iPhone
eine Sonderanfertigung aus einem besonderen Edelstahl
habe es auf dieselbe Steinplatte gelegt und
kaputtgeschlagen
am nächsten Tag habe ich den Audi in der Tiefgarage gegen die Mauer gefahren
das Auto hatte davor nicht einen einzigen Kratzer
danach war es Schrott
ich habe es abschleppen lassen.

Er setzt sich ans Schlagzeug.

Das Schlagzeug habe ich auf dem Mistplatz gefunden
die Große Trommel die Fußmaschine die Kleine Trommel die Hi-Hat das Becken
irgendjemand hat die Sachen dort abgestellt
bei den alten Matratzen und Waschmaschinen
ein komplettes Schlagzeug
alle Teile funktionieren einwandfrei
sogar die Fußmaschine
wie neu
ich habe alles auf den Handwagen geladen und mitgenommen.

Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen
eine Straße in die Richtung
eine Straße in die andere Richtung
die dritte Straße war nicht einmal asphaltiert.
In der Stadt war alles klein
die Häuser die Gärten die Autos die Geschäfte
klein und langweilig.
Als ich sechzehn war
wollte ich ein Schlagzeug haben
ich war überzeugt dass man nur laut genug Schlagzeug spielen muss
damit alles anders wird
ich wollte anarchistisches Punk-Schlagzeug spielen
das die Mauern der Festung der Kleinstadt zum Einsturz bringt.
Meinen Eltern wäre es natürlich lieber gewesen ich hätte Klavier gelernt.

Ich wollte nie so werden wie die anderen
wie alle anderen
ich wusste aber nicht wie das geht
nicht so werden wie die anderen
ich dachte es reicht wenn man Turnschuhe trägt.
Zwei paar Jahre später war ich genau so wie die anderen
das Schlagzeugspielen hat mich nicht mehr interessiert
ich habe das Schlagzeug auf den Dachboden gestellt
damit es nicht verstaubt hat meine Mutter es mit einer Wolldecke zugedeckt
später haben meine Eltern das Schlagzeug verkauft und
mit dem Geld einen neuen Rasenmäher angeschafft.

Irgendwann hatte ich dieselben Wünsche wie alle anderen und
wie alle hatte ich die Hoffnung dass
sie einmal in Erfüllung gehen aber
ich hätte nie gedacht dass
sie es wirklich tun.

Er steigt auf das Podest.

Ich habe jeden Tag einen dunklen Anzug getragen
schwarz dunkelgrau mittelgrau dunkelblau mittelblau
dazu das weiße Business-Unternehmer-Managerhemd mit Manschettenknöpfen
manchmal habe ich statt eines weißen ein hellblaues Hemd genommen.
An einem Tag vor drei Jahren
habe ich die Anzüge und Hemden und Krawatten aus dem Schrank geholt
in Plastiksäcke gestopft und zur Altkleidersammlung gebracht
ich nehme an irgendjemand trägt diese Anzüge und Hemden jetzt
irgendwo
es waren Maßanzüge und Maßhemden
von sehr guter Qualität.

Das Podest habe ich selbst gebaut
als ich noch mit Sophia zusammen in unserem Haus gewohnt habe
ich weiß es sieht auch wie selbstgebaut aus
ich habe ein paar Fichtenholzbretter zusammengenagelt
es wackelt aber
und?
wenn es zusammenbricht baue ich ein neues
bis jetzt hat es gehalten
vielleicht streiche ich es noch an
mit rotem Lack dann
ist es auffälliger dann
sieht man es sofort.

Früher habe ich die Straßenseite gewechselt wenn
ich jemanden auf einem Podest stehen gesehen habe
nichts ist so peinlich wie ein Typ der auf einem Podest steht
nichts ist so unnötig wie Menschen die anderen gute Ratschläge erteilen
die etwas besser wissen und
die glauben immer Recht zu haben.
Ich kann alle verstehen die die Straßenseite wechseln und
einen großen Bogen um mich machen
dieses Verhalten ist nicht seltsam.

Er setzt sich ans Schlagzeug.

Ich spiele nicht sehr gut das gebe ich zu
ich habe seit damals als ich sechzehn war nicht mehr Schlagzeug gespielt und
schon damals konnte ich es nicht besonders gut
schließlich wollte ich nur Punk-Schlagzeuger werden.
Meistens spiele ich denselben einfachen Rhythmus
die Große Trommel auf eins
zwei und
drei
die Kleine Trommel auf zwei und vier
dazu auf der Hi-Hat Achtelnoten
es kommt ja nicht auf die Virtuosität an
ich bin kein Musiker
ich sitze nicht hier um Musik zu machen
um die Passanten mit Musik zu unterhalten.

An den Wochentagen sind immer nur ein paar Menschen da
nachmittags mehr als am Vormittag
manchmal sind es fünf
am späten Nachmittag wenn Büroschluss ist sind es mehr
Samstag Mittag stehen am meisten da
dann sind es zwanzig
oder vielleicht auch mehr
ich zähle sie nie
mit Einkaufstüten in der Hand
mit Kleinkindern auf dem Arm
mit ihrem Hund
manche essen Pommes frites oder ein Eis
manche trinken Bier und
drücken dann demonstrativ die leere Dose mit einer Hand zusammen.

Letzte Woche hat sich vor mir eine Frau auf den Boden gekniet
drei Schritte vor mir
ich habe so getan als würde ich sie nicht sehen
ich versuche immer niemanden bewusst anzusehen.
Sie hat mich gefragt: Stimmt das wirklich was Sie sagen?
Ich habe so getan als hätte ich nichts gehört
ich reagiere nie wenn man mich etwas fragt
das habe ich mir zum Prinzip gemacht
nicht hinschauen
nicht antworten
nicht diskutieren
nach einiger Zeit ist die Frau wieder aufgestanden und weitergegangen
ich habe gesehen wie andere darüber den Kopf geschüttelt haben
ich will nicht dass irgendjemand vor mir auf die Knie fällt.

Er steigt auf das Podest.

Ich habe einen Zigarrenschneider aus Silber besessen
PXG Golfschläger in die
ich meine Initialen eingravieren habe lassen
eine schwarze Ledertasche von Hermès
den Zigarrenschneider habe ich in den Mistkübel geworfen
die Golfschläger habe ich bei den Containern wo
man Sondermüll abgeben kann
abgestellt
die Tasche habe ich auf einer Parkbank liegen lassen.

Mein Vater arbeitete in einer Druckerei
meine Mutter war Sekretärin in einer Firma für Holzhandel
ich war das einzige Kind
meine Eltern wollten dass ihr Kind es einmal besser hat als sie selbst es hatten
besser heißt dass man ihm alles kaufen konnte was es sich wünschte
sie wollten dass ich eine bessere Schule besuche als sie selbst besucht hatten und
dass ich studiere
um später einmal viel Geld zu verdienen
um abgesichert zu sein
nach der Matura wusste ich nicht was studieren
ich wollte nie das studieren was alle anderen studierten
kurze Zeit später studierte ich auf der Wirtschaftsuniversität
das war noch schlimmer als das was die anderen studierten.

Am Mistplatz habe ich auch den schwarzen Kasten gefunden
zuerst hatte ich keine Ahnung was das ist
dann habe ich mich daran erinnert dass
Caspar einmal so einen Kasten besessen hat
er hat ihn für eine Party gekauft
ich habe damals mit ihm geschimpft weil
es eine so teure Anschaffung war.
Es ist eine Nebelmaschine
sie ist alt aber sie funktioniert noch
ich habe einen Kanister mit Nebelfluid gekauft und die Flüssigkeit eingefüllt.
Wenn man auf den Knopf oben drückt
schießt aus der Öffnung vorn dicker weißer Nebel heraus
wenn Kinder da sind schreien immer ein paar von ihnen laut auf weil
sie sich erschrecken oder weil
sie sich vor dem Nebel fürchten.
Einmal habe ich jemanden sagen hören: So ein billiger Effekt.
Ich habe nichts darauf geantwortet
stimmt es ist ein billiger Effekt
na und?

Er betätigt die Nebelmaschine.

Ich habe keine Angst vor dem Nebel
ich habe keine Angst vor dem Wasser
ich habe keine Angst vor den Gespenstern
ich habe keine Angst vor dem nächsten Tag
ich habe keine Angst zu verhungern
ich habe keine Angst dass mir die Zähne ausfallen
ich habe keine Angst davor dass der Strom ausfällt
die Dunkelheit macht mir nichts aus.

Ende des Textausschnitts