„Nehmt uns unseren Luxus weg“ im Rahmen des Projekts „Vierundzwanzigstundenwerk“ des Drama X im Kabelwerk Wien, 2005 (Foto: Matern / Schlager)

© Text Robert Woelfl Alle Rechte beim Autor

Kurzstück für das Projekt „Vierundzwanzigstundenwerk“ im „Kabelwerk“ Wien, 2005
DarstellerInnen: Maria Hengge (M), Melanie Herbe (E), Horst Heiss (H), Christian Strasser (C)
Regie: Andreas Erstling

C: Was machen die? Da. Bei dem Auto.

H: Die zwei Typen?

E: Drei. Es sind drei. Siehst du das nicht?

C: Was machen die? Bei dem Audi.

H: BMW.

M: Ich sehe niemanden.

C: Bei dem Audi.

H: BMW.

M: In ihr Auto einsteigen.

E: Das ist nicht ihr Auto.

M: Das weißt du. Woher weißt du das?

H: Ich kann dir von hier aus sagen, dass das ein BMW ist und kein Audi. Ich kann dir auch sagen, was für ein Modell das ist.

C: Darauf bist du stolz. Du bist stolz darauf, dass du aus dieser Entfernung einen Audi von einem BMW unterscheiden kannst.

E: Die gehen um das Auto herum.

M: Darf man jetzt nicht mehr um sein Auto herum gehen?

E: Die gehen schon das zweite Mal um das Auto herum.

M: Ist das verboten?

E: Die brechen das Auto auf.

C: Er hat die Scheibe eingeschlagen.

E: Mit einem Hammer?

C: Die Scheibe beim Fahrersitz.

E: Mit der Faust?

M: Ist mir auch schon einmal passiert. Die Scheibe eingeschlagen. Scherben überall auf den Sitzen. Auch auf der Rückbank. Das ist mir letztes Jahr passiert.

C: Die räumen das Auto aus.

H: Da hat jemand sein Handy im Auto liegen lassen. Da war wieder jemand so klug, sein Handy liegen zu lassen.

M: Die Alarmanlage müsste doch schon längst losgegangen sein.

C: Jetzt siehst du, welchen Wert so eine Alarmanlage hat.

E: Die räumen das Auto aus.

M: Ich habe so was noch nie gesehen.

C: Dann sieh jetzt zu.

H: Der hat wirklich die Scheibe eingeschlagen.

E: Wer von den drei?

C: Ist das nicht egal, wer von den drei?

M: Ich habe so was noch nie gesehen. Ich habe auch nicht gedacht, dass ich so was jemals sehen werde. Ich muss so was nicht sehen. Ich will so was gar nicht sehen. So was gibt es. Das weiß ich. Ich bin nicht realitätsscheu. Aber ich muss es nicht sehen. Ich muss nicht mit der Nase darauf gestoßen werden. Da ist wieder einmal jemand, der sich das holt, von dem er glaubt, dass es ihm vorenthalten wird. Da ist wieder einmal jemand, der sich im Recht fühlt. Da ist jemand, der durch seine Taten Fragen stellt. Aber es werden in letzter Zeit so viele Fragen gestellt. Und auf diese ganzen Fragen weiß ich keine Antwort. Aber das erwartet man von mir. Dauernd Antworten geben. Wer kann denn das? Von uns wird viel zu viel verlangt. Dieses Antwortenmüssen macht mich müde.

H: Die haben sich nicht gerade die dunkelste Stelle in der Stadt ausgesucht.

C: Die haben keine Angst.

E: Nein.

C: Keine Angst, erwischt zu werden.

E: Nein.

H: Ich rufe an.

C: Wen?

H: Die Polizei.

C: Das glaube ich dir. Wegen so einer Kleinigkeit die Polizei anzurufen. Das passt zu dir. Die Polizei anrufen. Dafür ist sie ja da.

H: Stimmt.

C: Du machst es dir einfach. Die Polizei anrufen. Du weißt immer eine Lösung. Das passt zu dir. Du bist nie dazu bereit, über das Problem zu diskutieren. Ich würde gern einmal mit dir über ein Problem diskutieren, aber du weigerst dich.

M: Wenn es mein Auto wäre, dann wäre ich auch froh, wenn jemand die Polizei rufen würde.

C: Woher willst du das wissen? Du hast kein Auto.

E: Jetzt hat sich einer von ihnen ins Auto gesetzt.

M: Wer?

H: Ist das nicht egal, wer?

E: Warum hat er sich ins Auto gesetzt, wenn sie es ausräumen wollen?

H: Ich kann euch genau sagen, was für ein BMW das ist. Ich kann euch sagen, wieviel PS der hat. Zufällig weiß ich das. Zufällig bin ich einmal mit so einem BMW gefahren. Ich kann euch sagen, welche Höchstgeschwindigkeit der erreichen kann. Wer nicht wenigstens einmal in so einem BMW gesessen ist. Wieviel Prozent der Bevölkerung, glaubt ihr, sind schon einmal in so einem BMW gesessen?

E: Die versuchen, das Auto zu starten.

M: Das weißt du. Woher weißt du das?

C: Jetzt hat sich auch der andere hineingesetzt.

M: Wie machen die das ohne Schlüssel?

H: Die haben Tricks.

M: Was für Tricks?

E: Die brauchen ganz schön lange.

M: Die haben es nicht eilig.

C: In Leipzig habe ich einmal beobachtet, wie ein Motorrad gestohlen wurde. Zehn Sekunden. Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins. Länger haben sie nicht dafür gebraucht.

H: Ich rufe an.

E: Bis die hier sind.

H: Ich rufe jetzt an.

E: Können wir nicht näher hin?

M: Wozu?

E: Siehst du das nicht?

M: Wozu?

E: Die lassen sich Zeit. Die lassen sich wirklich Zeit. Jetzt haben sie die Motorhaube geöffnet.

H: Irgendjemand wird die Polizei anrufen.

C: Wer?

H: Irgendjemand, der es auch beobachtet und der über einen Gerechtigkeitssinn verfügt.

E: Wir müssen näher hin. Ich will näher hin. Warum kann ich nicht näher hin?

M: Dann bringen sie uns um. Noch näher hin und sie bringen uns um.

E: Wenn wir nicht näher hingehen, werden wir keine genaue Personenbeschreibung geben können.

C: Startet es endlich. Startet es. Startet diesen Scheiß BMW. Klaut diesen Scheiß BMW.

H: Wenn ich es nicht tue, dann wird ein anderer die Polizei anrufen.

M: Das hält uns alles bloß auf. Merkt ihr das nicht? Wir beschäftigen uns mit einer Angelegenheit, die uns in Wirklichkeit bloß aufhält. Das sind alles nur Dinge, die uns bremsen. Und das wirklich Wichtige verlieren wir dabei aus den Augen. Wir stehen hier, während sich das wirklich Wichtige weg bewegt. Von uns weg. Merkt ihr das nicht? Das wirklich Wichtige ist schon weit von uns entfernt. So weit schon, dass wir das wirklich Wichtige gar nicht mehr spüren, sondern nur mehr die Distanz zu ihm. Den leeren Raum, die Lücke, dafür haben wir noch ein Gefühl. Den Mangel zu empfinden, dafür reicht es bei uns noch. Aber von euch will ja keiner über das wirklich Wichtige reden. Fangen wir einmal davon an, heißt es sofort, gehen wir doch etwas essen, oder gehen wir wieder einmal ins Kino. Von mir aus, gehen wir wieder einmal ins Kino. Aber warum können wir deshalb nicht über das wirklich Wichtige reden?

E: Jetzt haben sie die Motorhaube wieder zugemacht.

H: Dieser BMW fährt zweihundertvierzig. Das weiß ich.

C: Faster, Pussycat, kill, kill. Kennt den jemand?

E: Ja.

C: Russ Meyer.

E: Ja.

C: Gibt es den in der Videothek?

E: Ja.

C: Lüg nicht. Lüg doch nicht. Das hasse ich an dir. Dass du wegen Kleinigkeiten lügst. Ist dir das nicht zu dumm? Wegen solcher Kleinigkeit zu lügen.

E: Es gibt ihn auf DVD.

C: Lüg nicht.

H: Sie hat recht. Es gibt ihn auf DVD.

C: Jetzt startet doch endlich diesen Scheiß BMW. Klaut das Auto. Klaut dieses Auto diesem BMW-Arschloch unter seinem Arsch weg. Kümmert euch nicht. Haut ab. Und schaut nicht zurück. Schaut nie mehr zurück. Und dann über die Grenze. In den Süden. In den Osten. Lasst diese Stadt und dieses Land hinter euch. Ich wünsche euch, dass ihr Glück habt. Fahrt in den Osten. An das Schwarze Meer. Und weiter. Wo euch keiner mehr erreichen kann. Wo euch keiner mehr suchen wird. Nehmt uns unsere BMWs und Audis und Mercedes weg. Wir wissen ohnehin nicht, was wir damit anfangen sollen. Wir fahren damit so schnell, wie wir es uns getrauen, so schnell, wie es von uns erwartet wird, aber es macht uns schon lange kein Vergnügen mehr. Wir kaufen diese Autos, obwohl sie kein Gefühl mehr in uns wecken. Wir verbinden kein Gefühl von Freiheit und keine Sehnsucht nach Unendlichkeit mehr damit. Nehmt uns unseren Luxus weg, wir haben keine Verwendung mehr dafür.

E: Ich glaube nicht, dass die es schaffen.

M: Die brauchen schon zu lange dafür.

E: Jetzt.

M: Nein.

H: Wenn es dein Auto wäre.

C: Ist es nicht.

H: Wenn es dein BMW wäre.

C: Ist es nicht.

H: Mit dem Fahrrad fahren. Das ist alles, was du kannst. Jedem sagen, welche Partei du wählst und mit dem Fahrrad fahren. Mehr kannst du nicht.

E: Die werden noch lange dafür brauchen.

M: Der wird Aggressionen haben.

C: Wer?

M: Der Besitzer.

C: Wer sich so ein Auto leisten kann.

H: Ist doch nur geleast.

C: Wer sich so einen BMW leisten kann.

H: Geleast.

C: Mich interessieren die Aggressionen der Besitzenden nicht.

H: Ich werfe was rüber.

E: Was?

H: Einen Stein.

M: Wozu?

C: Hier gibt es keine Steine.

M: Man muss drei Steine werfen. Das bringt Glück. Wenn du unbedingt Steine werfen willst, dann wirf drei.

H: Ich werfe die Dose.

C: Dann wirf schon endlich.

E: Daneben.

M: Ganz schön weit daneben.

C: Du kannst nicht einmal eine Dose werfen.

E: Wir warten und warten. Statt dass wir etwas tun.

C: Immer etwas tun wollen. Wozu denn? Zu jedem Problem eine Lösung finden wollen, statt das Problem zu diskutieren. Du musst endlich lernen, das Problem zu diskutieren.

M: Ich will mir das ansehen. Ich will mir das jetzt ansehen. Ich habe noch nie gesehen, wie ein Auto gestohlen wird. Und ich will das jetzt sehen. Ich will sehen, wie das in Wirklichkeit ist. Das ist jetzt Wirklichkeit. Das ist Ursache und Wirkung. Ich erlebe etwas Besonderes. Ich werde ein Zeuge von etwas. Ein Zeuge. Das lasse ich mir nicht verderben.

H: Ich gehe rüber.

E: Würde ich nicht.

H: Warum nicht?

E: Ich würde nicht rüber gehen.

H: Ich frage sie was.

M: Was?

H: Ich gehe rüber und frage sie, woher sie sind.

M: Die bringen dich um.

H: Wenn ich sie das frage?

E: Wenn ich eine Trillerpfeife hätte, würde ich pfeifen.

M: Als Kind habe ich so eine Trillerpfeife gehabt.

E: Sie werden das Auto stehlen und wegfahren und wir werden ihre Gesichter nicht beschreiben können. Nicht einmal ihre Kleidung genau. Der eine trägt eine Jeans, der andere eine beigefarbene Hose. Der eine eine rote Jacke, eine auffällige, rote Jacke. Aber was der dritte trägt, das kann ich nicht sagen. Wenn mich später jemand fragt, dann werde ich die drei nicht genau beschreiben können. Und man wird mir deswegen einen Vorwurf machen. Ganz zu Recht.

H: Jetzt rufe ich an.

C: Das willst du doch schon die ganze Zeit.

H: Ich rufe jetzt an.

C: Du kannst es doch schon gar nicht mehr erwarten.

H: Ich rufe an.

C: Dann ruf endlich an mit deinem neuen Nokia. Ruf mit deinem neuen Nokia die Polizei an. Die Polizei wartet schon darauf, dass sie von einem neuen Nokia angerufen wird. Das ist heute noch nicht passiert. Und es wird Zeit, dass es endlich passiert. Wenn du es nicht mehr erwarten kannst, dein neues Nokia zu bedienen, dann mach es. Hol es heraus und bedien es. Dafür hast du es ja. Dafür hast du es ja gekauft. Oder hast dich für weitere zwei Jahre an deinen Anbieter gebunden. Dem bist du jetzt verpflichtet. Dem gehörst du jetzt. Dem bist du jetzt hörig. Mach mit deinem schönen, neuen Nokia ein schönes Telefonat. Sag, was du entdeckt hast. Nenne den Fehler, den du gefunden hast. Nenne der Polizei den Fehler, sie wird den Fehler korrigieren. So ein kurzes Telefonat kostet nicht viel. Außerdem sammelst du damit bestimmt Bonuspunkte. Je mehr du telefonierst, desto mehr Bonuspunkte bekommst du. Du solltest melden, dass hier gerade ein Auto gestohlen wird, um zusätzliche Bonuspunkte zu erhalten. Wenn du Angst hast, noch zu wenig Bonuspunkte zu haben, dann mach jetzt endlich dein Scheiß Telefonat. Wenn du so verrückt danach bist, wegen ein paar Bonuspunkte jemanden zu verraten, dann mach jetzt dein Telefonat.

E: Sie haben es gestartet.

M: Ja.

E: Sie haben es wirklich gestartet.

M: Warum setzen sie sich nicht hinein?

C: Worauf warten die?

H: Ich hätte nicht gedacht, dass sie es schaffen. Nicht bei dem Modell.

C: Das sind keine Verlierer-Typen.

E: Sie haben das Licht eingeschaltet.

M: Auch im Innenraum.

C: Wozu?

E: Wann fahren die endlich weg?

C: Die haben keine Angst. Die fürchten sich nicht vor Rache.

H: Zwanzig Minuten. Die haben genau zwanzig Minuten dafür gebraucht.

M: Jetzt.

E: Sie fahren.

M: Warum fahren die so langsam?

C: Bloß keinen Verdacht erregen.

E: Als hätten die unendlich viel Zeit.

C: Die lassen sich keine Angst einjagen. Von niemandem.

H: Die setzen alles auf eine Karte.

C: Die fahren jetzt die ganze Nacht durch und morgen den ganzen Tag. Halten nur an um zu tanken. Die fahren und hören ihre CDs. Hören ihre Lieblingsmusik. Die fahren nach Osten und hören Johnny Cash.

M: Warum fahren die so langsam?

E: Die haben Zeit.

H: Ich sehe sie nicht mehr.

C: Sie sind weg.